Politische Vision und tägliche Kämpfe: DIE LINKE und die Gewerkschaften

7. Februar 2014

Die Gründung von Gewerkschaften mit sozialistischen Zielen war eine wichtige Voraussetzung für die Herausbildung der deutschen sozialdemokratischen Partei im 19. Jahrhundert. Fachvereine für Maurer und Zimmerleute bildeten zum Beispiel in Eckernförde die Wurzeln des nach der Aufhebung der Sozialistengesetze 1891 entstandenen Arbeiterbildungsvereins, der sich erst 1906 als Ortsverein der SPD konstituierte.

  Der Dualismus von politischer Partei bzw. politischen Parteien der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften besteht bis heute fort und das Verhältnis zwischen beiden Organisationsformen ist weiterhin von zentraler Bedeutung für eine Strategie der gesellschaftlichen Veränderung von Seiten der politischen Linken, also auch der Partei DIE LINKE. Seit der Spaltung der SPD infolge ihres Kriegskurses nach 1914 und der Entstehung von weiteren Parteien links von ihr (USPD, KPD, incl. KPDO, SAPD, usw.) ist die Frage nach den Aufgaben der Gewerkschaften, ihren gesellschaftpolitischen Zielvorstellungen, ob sie sich allein den ökonomischen Tageskämpfen widmen oder Teil einer bewußten politischen Transformation der Gesellschaft sein sollen, Teil des Konkurrenzverhältnisses zwischen den verschiedenen Kräften auf der Linken. Voraussetzung für die Gründung der WASG, einer der beiden Quellparteien der Partei DIE LINKE, war die AGENDA-Politik der SPD nach 1998, die in eklatantem Widerspruch zu gewerkschaftlichen Zielvorstellungen stand und steht. Gewerkschaftspolitische Fragestellungen haben aber auch in der CDU Bedeutung, zumal der heutige Deutsche Gewerkschaftsbund sich als überparteiliche Interessensvertretung für alle „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ begreift.

  Die Überwindung der Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in unterschiedliche politische Richtungen, die Gründung von Einheitsgewerkschaften über Parteigrenzen hinweg, ist eine Folge aus der Katastrophe der Niederlage der Arbeiterbewegung von 1933. Vor allem der gnadenlose Kampf zwischen SPD und KPD war eine wesentliche Voraussetzung für dieses Desaster. Während die SPD, in ihren reformistischen Illusionen verfangen, die Notverordnungspolitik tolerierte und 1932 zur Wahl Hindenburgs für das Amt des Reichspräsidenten aufrief, schlingerte die KPD nach 1928 endgültig in einen ultralinken Kurs, bezeichnete nicht nur deren Führung, sondern alle Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“, und betrieb durch die Gründung eigener roter Verbände aktiv die Spaltung der Gewerkschaften. KPD-Mitglieder, die in den freien Gewerkschaften verblieben, wurden aus der Partei ausgeschlossen. Genutzt hat dies letztendlich nur den Nazis. Die deutsche Linke war infolge ihres Bruderkampfes nicht in der Lage, die Machtübertragung an die Faschisten zu verhindern.

  Daß Mitglieder der Partei DIE LINKE heute in den (Einheits-)Gewerkschaften mitarbeiten, dort um politischen Einfluß ringen, indem sie bessere Vorschläge als andere machen, bereit sind, sich für die gemeinsamen Tagesforderungen aller Kolleginnen und Kollegen einzusetzen, ohne weitergehende Ziele, die sich von denen der SPD beispielsweise unterscheiden, aus den Augen zu verlieren – dies alles müßte eigentlich vor dem Hintergrund bitterer historischer Erfahrungen und der gegenwärtigen Politik der herrschenden Klassen eine Selbstverständlichkeit sein. Gewerkschaften bilden nicht unbedingt die einzige, aber im alltäglichen Klassenkampf um Arbeitsbedingungen, bzw. Reproduktionsverhältnisse der Arbeitskraft, die wichtigste Gegenmacht zur Macht der Kapitaleigner. Sie sind weiterhin die „Schule des Klassenkampfes“ (Lenin), in der auch Menschen mit zunächst geringem politischen Bewußtsein erfahren, wie die Machtverhältnisse in dieser Gesellschaft tatsächlich beschaffen sind. Wer dieses Feld der Auseinandersetzung als nebensächlich erachtet, hat etwas Wichtiges nicht verstanden.

  Wenn also auf einem Landesparteitag der Partei DIE LINKE in Schleswig-Holstein eine Stimmung entsteht, in der man sich als Kandidat für ein Parteiamt fast schon entschuldigen muß dafür, daß man in einer Gewerkschaft aktiv ist, ist offenbar etwas aus dem Lot geraten. Es scheint sich allmählich bei einem Teil der Parteimitglieder eine modische Attitüde herauszubilden, mit diesen altbackenen Gewerkschaften und ihren spießigen Traditionen nichts mehr zu tun haben zu wollen. Natürlich entspricht und entspringt diese Haltung nicht den erklärten programmatischen Zielvorstellungen der LINKEN. Trotzdem ist sie erkennbar und es ist notwendig, sich damit auseinanderzusetzen und für Klarheit zu sorgen.

  Es geht nicht darum, jeden Beschluß gewerkschaftlicher Gremien gutzuheißen, Gewerkschaften quasi für sakrosankt zu erklären – dafür bietet die Gewerkschaftspolitik der DKP nach 1968 leider abschreckende Beispiele genug – es geht darum, innerhalb der Gewerkschaften kritische, linke Positionen einzubringen, zur Diskussion zu stellen und den gewerkschaftspolitischen Diskurs nach links zu verschieben. Die Gewerkschaften von außen von einem scheinbar gut gesicherten Feldherrnhügel moralisierend zu kritisieren, bewirkt wenig und nutzt dem mit der SPD vermählten Flügel, der Verständnis und Mitgefühl für jede unsoziale Schweinerei von Seiten ihrer Parteiführung aufbringt und versucht, möglichst viele Funktionen in der Gewerkschaft mit ihren Leuten zu besetzen.

  Ein Rückzug aus den Gewerkschaften, eine Geringschätzung ihrer Bedeutung nutzt genau denen, die man vorgibt zu bekämpfen. Und er nutzt auch nicht linken sozialdemokratischen Gewerkschaftern, deren politische Zielvorstellungen denen der LINKEN häufig nahe sind. Wer glaubt, politische Veränderungen in unserem Land ließen sich hauptsächlich auf parlamentarischem Wege erreichen, ist auf dem Holzweg. Ohne außerparlamentarischen Druck, unter anderem auch von den Gewerkschaften, werden keine wesentlichen Ziele der LINKEN zu erreichen sein.

Rainer Beuthel

Eckernförde

Mitglied im ver.di-Ortsvorstand